Informationen: Prof. Dr. Boris Michel und Paul Schweizer
Debatten der kritischen Kartographie haben seit den 1990er Jahren ein Kanon gängiger Kartenkritik, Kartendekonstruktion und kritischer Analysen kartographischer und kartierender Praxis entwickelt. Zugleich entstanden vielfältige Formen kritisch-kartierender Praxis in Wissenschaft, Kunst, Bildungsarbeit und politischer Intervention. Seit den 2000er Jahren findet zudem eine bemerkenswerte Ausweitung der Beteiligung an kartographischer Produktion statt – nicht zuletzt angestoßen durch neue technische Möglichkeiten und den Abbau von Zugangshürden. Partizipatives Kartieren ist heute ein fester Bestandteil sowohl staatlicher als auch von zivilgesellschaftlichen Initiativen angestoßener Beteiligungsprozesse in unterschiedlichen Kontexten weltweit. Allerdings bleibt hierbei eine detaillierte Herleitung und Reflexion der spezifischen Kartierungsmethoden und Gestaltungsmittel meist aus. In der kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Partizipation erscheint dies insbesondere insofern als problematisch, als die durch Kartographie versprochene “Partizipation” damit Gefahr läuft, instrumentalisiert und zum bloßen Branding-Werkzeug zu werden. Hier setzt das vorliegende Forschungsprojekt an, indem es die Kritik am Partizipationsbegriff und den gängigen Methoden partizipativen Kartierens aufgreift und einer systematischen Analyse unterzieht. Gegenüber dieser Kritik wird hier auf einen an Debatten um Dekolonialität und kritische Pädagogik anschließenden Partizipationsbegriff zurückgegriffen, der insbesondere auf bell hooks engaged pedagogy aufbaut. Mit diesem wird Kartieren im Sinne der Aktionsforschung als Prozess kollektiver Wissensproduktion konzipiert. Ziel des Projekts ist es, in unterschiedlichen empirischen Anwendungen Kartierungsmethoden und Gestaltungsmittel zu entwickeln, die dem Anspruch einer dekolonial-kritischen kollektiven Kartographie – engaged cartography – entsprechen. Das Projekt greift Forderungen die neue Vielfalt an Kartierungskontexten, -stilen und -techniken empirisch zu untersuchen auf, indem es die Methoden und Gestaltungsmittel kollektiven kritischen Kartierens in einer multi-sited-Aktionsforschung in aktivistischen, künstlerischen und Bildungskontexten in drei Fallstudien (in Porto Alegre, Basel und Neapel) begleitet und analysiert. Damit trägt es sowohl zu Diskussionen um Methoden kritischen Kartierens als auch zu Debatten um partizipative Forschung, künstlerisch-kreative Methoden, transformative Bildung und dekoloniale Wissensproduktion in der Geographie bei. Während bisherige Forschungen einzelne spezifische Kartierungsmethoden und Gestaltungsmittel empirisch erproben und diskutieren, steht eine systematische Untersuchung unterschiedlicher Methoden und Werkzeuge partizipativer und kollektiver Kartierung bisher noch aus. Diese Lücke zu schließen, ist Ziel des dieses Forschungsprojekts.